Katrin Bucher Trantow
Frenzi Rigling häutet sich. Immer und immer wieder bildet sie die eigene schützende Hülle in ihren seit 2004 stetig wachsenden Protokollen als Tagebuchzeichnungen ab. In ungebrochener Linie zieht sie das Abbild ihrer Kleidung als täglichen Abriss der Lebenslinie auf das Blatt und verfolgt dabei die Metamorphosen ihrer selbst. Wie eine griechische Moire spinnt sie den Faden ihres Lebens zur lesbaren Geschichte über Wetter, Temperatur, Tagesverfassung oder auch Ereignisse ihrer persönlichen Existenz. Für das, was wir „Schicksal“ nennen, bedient sie sich des Urbildes lebensgebender Weiblichkeit: seien es die germanischen Nornen, die römischen Parzen oder die griechischen Moiren. Es handelt sich um eine Adaption des Bildes der drei weisen, spinnenden Frauen, die um eine Spindel sitzend den Lebensfaden spinnen, für das Leben abmessen und auch abschneiden. Bei Frenzi Rigling verschmilzt der einzelne Faden des Lebens mit der Zeichnung und der zyklischen Wiederkehr existenzieller Metamorphosen. Dabei verwebt sie das Singuläre und Persönliche mit hinein. Wenn Max Frisch in Mein Name sei Gantenbein davon spricht, dass er Geschichten wie Kleider anprobiert, dann scheint es bei Frenzi Rigling ähnlich zu sein.1 Ihre Kleiderhüllen bringen allerdings, wie in der Arbeit „Teppich 2002 -“, in der alte Kleider fremder Menschen in einem performativen Prozess zu einem schier endlosen Untergrund vernäht werden, auch ihre eigenen, versteckten Geschichten und alltäglichen Geheimnisse mit. Als konzeptuelle Sammlerin und Ordnerin gibt sie dabei dem Nebensächlichen eine Stimme, fügt es ein in eine Struktur, die das Leben als Endlosschleife von Ent-hüllungen in verschiedenen Mustern und Medien mimt.
Es ist das Alltägliche, das mitunter sehr Weibliche, das Nebensächliche und normalerweise nicht zu Wort Kommende, das Frenzi Rigling interessiert. Wäsche, Steinen, Insekten, Essensresten oder Fellen wird eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit zuteil. Es wird jenes verarbeitet und jenem ein Podium gegeben, das kaum der Rede wert erscheint. Wenn in den bereits erwähnten Tagebuchzeichnungen die eigene Kleidung zum das Leben umhüllenden Zeugnis wird, so scheint es bei den Steinen ein geradezu fürsorgliches Interesse an der Intaktheit der Hülle zu sein. Steine, deren Aushöhlungen von einem stetig schürfenden Wasserstrom berichten, werden von Frenzi Rigling heil gemacht, geflickt und gepflegt.
Eine ebenso das Leben stabilisierende Arbeit ist die seit mehreren Jahrzehnten stattfindende Ordnung toter Insekten. In Sammlung erhält die stets verdrängte Arbeit des häuslichen Aufräumens und die Verwertung der dabei anfallenden „Sammlungsstücke“ eine konzeptuelle Seite, die den alltäglichen Akt des Ordnens zum künstlerischen Prozess werden lässt. Auch in Socken sind die im Haushalt gefundenen „Ready-mades“ im eigentümlichen Sinn mit der weiblichen Arbeit und dem noch immer vermehrt weiblichen Alltag konnotiert. Sie werden durch das „Aussetzen“ im Wald einem Prozess ironischer Nachhaltigkeit unterworfen, der einerseits streng konzeptuell die ebenso persönliche wie unbedeutende Socke zur Skulptur in der Landschaft erhebt. Andererseits wird lapidar über den Aspekt des Endlichen berichtet, dem wir in all unserem Sein und Denken streng unterworfen sind. Von anderen sehr persönlichen Hüllen handeln die beiden Arbeiten Hasen und Fellzopf, die sich dem lebensbedingenden Fell der Tiere widmen und sie in den Zusammenhang von Sehnsucht und Konsum stellen. Als überdimensionale Design-Lampe und haptisch anziehende Skulptur, werden sie zu begeh- und erfühlbaren, gesellschaftlichen Phantasien. Gleichzeitig sind sie eine Weiterführung von Frenzi Riglings Auseinandersetzung mit dem zeichnerisch Linearen und ihrer Verwandtschaft mit additiven Lebenszyklen.
In der Arbeit Gedicht wiederum hat Frenzi Rigling im Blauen Schmetterling von Hermann Hesse einen sprachlichen Gegenspieler gefunden, den sie in einem anderen Medium auf das Zyklische und kulturell Eingeschriebene hin untersucht: Auf alten Waschlappen ihrer Familie macht sie sich die beliebten Verse zu eigen und verarbeitet sie in Stickereiform.
Flügelt ein kleiner blauer / Falter vom Wind geweht, /
Ein perlmutterner Schauer, / Glitzert, flimmert, vergeht.
So mit Augenblicksblinken, / So im Vorüberwehn
Sah ich das Glück mir winken, / Glitzern, flimmern, vergehn.2
Das Gedicht über das Glück vorbeiziehender Flüchtigkeit ist nach einem liedhaften Versschema von zwei aufeinander folgenden Kreuzreimen gebaut, seine sprachliche Wirkung verdankt es seiner lyrischen und tonalen Einfachheit. Frenzi Rigling widmet sich dem Gedicht im Sinne einer traditionellen Stickvorlage, indem sie es nachstickt, im Gesamtbild jedoch dekonstruiert und strukturell verändert. Die Verse werden zu Versatzstücken auf den Waschlappen, die beim Zusammenfügen zu einem Ganzen in Größe und Farbe aufeinander abgestimmt sind. Das daraus entstehende Gesamtbild wird zum familiären Gruppenbild. In Frenzi Riglings Interpretationen nimmt die entpuppte Schönheit des Schmetterlings eine direkte Verbindung auf mit dem, was den Menschen in seiner Hülle berührt. Sie stößt dabei auf neue Sprachbilder und das Gedicht scheint die Veränderung bedingt zuzulassen. Das vergängliche Glück beginnt in persönlicher Taktung zu flimmern und wirkt merkwürdig vertraut.
Durch die Medien hindurch widmet sich Frenzi Rigling den Bedingungen dessen, was uns auf den Leib gepasst ist. Häute, Zellen, Nahrung und zyklische Abläufe sind Schlüsselbegriffe, die Frenzi Riglings geheimnisvolle und archaische Arbeiten bestimmen. In der Beschäftigung mit dem, was uns unmittelbar umgibt, formuliert sie dessen Codes um und macht es sich in laufenden Prozessen zu eigen. Der künstlerische Schaffensprozess wird nicht nur in den Alltag integriert, sondern kommt aus ihm und wird durchaus auch unter dem Aspekt des feministischen Blickes auf Haltungen und Werte lesbar. Die Arbeiten sind sowohl Vanitasreflexionen über die Fragilität des täglichen Lebens, wie auch radikale Untersuchungen gesellschaftlicher und kunstimmanenter Prägungen. In der Tradition künstlerisch feministischer Praxis werden kulturelle Bilder lebensspendender Weiblichkeit und zyklischer Zeitbegriffe hinterfragt. Über Materialgebrauch, Medium und Prozess entfalten sich ebenso sinnliche wie existenzielle Auseinandersetzungen um die Begriffe Schnitt, Ordnung und Verbindungsmöglichkeit – und werden zur Reflexion über Bedingungen künstlerischen Schaffens selbst.
1 Max Frisch, Mein Name sei Gantenbein, Hamburg 1968, S.19
2 Hermann Hesse, Blauer Schmetterling, Gedicht von 1927, z.B. in: Hermann Hesse, Schmetterlinge, Hg. Volker Michels, 2002