Fragen an Frenzi Rigling

von Stella Rollig

Stella Rollig: Womit beginnt deine Kunst? Mit Suchen oder mit Finden?

Frenzi Rigling: Ganz spontan würde ich sagen mit Schauen. Da sehe ich etwas, es trifft mich und ich denke: Genau so ist die Welt! Oder so etwas wie: Das betrifft uns Menschen!

Das kann ein Gegenstand sein oder wie Menschen bestimmte Dinge tun, sich verhalten oder auch ein Film.

Vielleicht so: Es beginnt mit einer Faszination. Den Anstoß für meine Hasen-Zeichnungen gab z.B. der Film „La Dentellière“ von Claude Coretta. Wie Isabelle Huppert zu Beginn im Friseursalon der Frau ein Frotteehandtuch um die nassen Haare legt, hat mich umgehauen; das war für mich universal sinngebend.

Viele Jahre habe ich versucht, eine Form zu finden, die Trägerin dieses Gefühls sein könnte. Also einen Charakter ohne eigene Geschichte, welcher aber beim Betrachter bestimmte Gefühle und Geschichten und eventuell Erinnerungen auslöst.

Das Erscheinungsbild des Hasen ist durch Geschichte geformt. Meine Hasen aber haben keine Geschichte, sind auch keine Naturstudien – sind aber dennoch Hasen und haben die Attribute des Hasen wie lange Ohren, lange Glieder, kurzes Schwänzchen … Ich habe den Hasen gemacht, weil ich die Form so gesehen habe, weil ich eine Vision gesehen habe.

 

Welche Funktion hat die Zeit?

In meiner Arbeit „Tagebuch“ habe ich tagtäglich über einen längeren Zeitraum aufgezeichnet, welche Kleider ich an diesem Tag getragen habe. Das ist eine kleine Tätigkeit in der Zeit, erst durch beständige Aneinanderreihung wird diese Arbeit mächtig und lässt Zeit im Nachhinein erleben. Es lassen sich auch die Jahreszeiten und Temperaturen ablesen. Soll diese Arbeit funktionieren, ist die Dauer über längere Zeit notwendig. In dieser Arbeit war mir der Begriff der Zeit zu Beginn in einer anderen Art ein Anliegen. Ich wollte nämlich Zeit stehlen. Durch diese einfachste lineare Besinnung auf mich wollte ich täglich einmal kurz aus der Zeit treten.

Ich habe dann gemerkt, dass diese einfache, codierte Aufzeichnung es vielen Betrachterinnen und Betrachtern ermöglicht, sich selbst einzubringen. Das ist dann ein Hauptanliegen dieser Arbeit geworden: sich selber mit Leichtigkeit in der Zeit vorwärts und zurück zu bewegen.

Wenn Zeit vergeht, wird vieles sichtbar.

Leben verändert sich in der Zeit und hinterlässt Spuren. Bei meiner Arbeit „Teppich“ habe ich die abgelegten Kleider meiner Familie händisch zusammengenäht, ohne ihre Form zu verändern. Bei diesem Projekt geht es nicht um eine Ästhetik des Textilen oder um eine grundsätzliche ästhetische Intention. Ich habe die Kleidungsstücke nur nach ihrem emotionalen Gehalt ausgesucht. Zu Beginn habe ich noch nicht gewusst, in welche Richtung sich diese Arbeit entwickelt. Hier haben erst die Zeit und die Reaktionen des Publikums die Entwicklung verfestigt.

 

Ist Kunst integraler Teil der Lebenspraxis oder ist sie ein Ausweg daraus?

In den letzten Jahren habe ich Kunst abseits vom Markt und ohne viele Ausstellungen gemacht. Ich habe eine Selbstverständlichkeit in der Beschäftigung mit Kunst entwickelt. Die handwerklichen Tätigkeiten bei meinen künstlerischen Projekten sind zwar ähnlich wie die Arbeit, welche ich in meinem familiären Alltag machen muss. Ich suche nicht einen Ausweg aus meinem Alltag, habe aber auch nicht das Bestreben, meinen Alltag durch die Kunst zu erhöhen.

 

Ist ein Kunstwerk ein Objekt oder ein Raum? Wie viele Dimensionen hat es?

Na ja, mit dem Kunstwerk, das ist so eine Sache. Ich habe ganz klassisch Malerei studiert und sah aber bald, dass mich dieses Medium nicht wirklich befriedigt. Kunst als Objekt hat für mich wenig Bedeutung gehabt. Natürlich entstehen immer wieder Objekte, welche Raum brauchen, aber ich habe nie gewusst, wie mit ihnen umzugehen ist. Und ich habe eine große Nachlässigkeit, ja Verachtung meinen sogenannten Ergebnissen gegenüber entwickelt. Ich war richtig froh, wenn die Arbeiten sich irgendwie aufgelöst haben.

Eine Methode zu entwickeln, wie eine Haltung sichtbar wird, ohne ein definiertes Endprodukt zu haben, das interessiert mich. Die Dimensionen entwickeln sich aus der jeweiligen Fragestellung.

 

Müssen Materialien organisch sein um dich zu faszinieren?

Nein. Ich wähle das Material so aus, dass es die Aussage der Arbeit verstärkt. So können es rote Gummimatten sein – aber auch tote Insekten, Pelz, Filz etc. Grundsätzlich arbeite ich gerne mit Materialien, die viele Leute unserer Kultur ansprechen und so in ihnen Erinnerungen wecken. Sei es, weil sie in ihrem Leben oft sichtbar oder anwesend waren oder in unserer Lebensweise eine gewisse Bedeutung haben. Materialien, zu welchen viele Menschen eine emotionale Beziehung haben oder die sie emotional betroffen machen, aus welchen Gründen auch immer. z.B. das Sammeln von Muscheln oder das Pressen von Pflanzen: Das sind Beschäftigungen, welche Tausende Leute machen – warum eigentlich?

Diese Tätigkeiten haben etwas sehr Berührendes, oder wenn nicht, so wecken sie in sehr vielen von uns Erinnerungen an frühere Zeiten, an bestimmte Menschen. So allgemein und gleichzeitig so privat – ich finde diese Arbeit hat etwas ganz Liebenswertes. Es ist eine Tätigkeit, die Menschen machen und zwar sehr viele, wenn sie etwas Positives machen wollen, in einer positiven Stimmung sind, positive Lebenszeit festhalten wollen. Dieses Schwanken zwischen privat und allgemein wollte ich noch dadurch verstärken, indem ich die gepressten Pflanzen auf Zeitungspapier präsentiere.

Wenn ich jetzt die gepressten Pflanzen auf Zeitungsausschnitten sehe, so ist es mir peinlich.

Beim Sammeln von Muscheln etc. kommt noch stark das Thema Ordnen dazu: Wie aufbewahren, wie präsentieren? Die kann ich ja nicht nur zwischen zwei Zeitungen legen – früher oder später werden solche „Mitbringsel“ ja auch weggeworfen – gleichzeitig schmerzlich und befreiend.

Ich beschäftige mich seit längerer Zeit mit dem Thema „Mitgift“, damit, was jemand mitnimmt, wenn er ins Ausland geht, die Heimat verlässt. Der Ort, wo die Familie ist, die Jugend war …

Natürlich denke ich da an mich, die ich ja auch ausgezogen bin, und ich suche nach einer Form und vielleicht auch nach einem Material, welches die sogenannte Betroffenheit und Emotion auslöst, eine große Nähe zulässt oder vielleicht einfach nur nicht kalt lässt.

Ich habe nicht gesucht, habe einfach eines Tages meine Waschlappen bemerkt, gesehen, dass einige noch die Namensschilder meiner Großmütter tragen …

Da habe ich diese Lappen zusammengenäht. Und habe darauf dieses eigenartig kitschige, aber berührende Gedicht von Hermann Hesse genäht.

 

Hat alles ein Ende oder vergeht nichts?

Als Kind habe ich mich immer leidenschaftlich für Märchen interessiert. Ich empfand, dass in diesen Geschichten alles ein Ende hat und dennoch nichts vergeht. Und das stimmte mit meinem Lebensgefühl überein.

Ich wäre gerne in einer Kultur aufgewachsen, in der mehr Rituale und Kunst im Alltag gelebt werden und der Bereich des Mystischen nicht nur von der Kirche abgedeckt wird. Das hat mich immer sehr gelangweilt.

In meinen Arbeiten „Knot“ und „Socken“ berühre ich diesen Bereich. Ich verknote in „Knot“ Kleidungsstücke so, dass weder Anfang noch Ende sichtbar sind. Die Objekte bekommen etwas absurd Sinnloses, einer alltäglichen Bestimmung Enthobenes. Das ist wie bei Dada, eine Verbindung von Zufall und Mythos.

Und bei den „Socken“ geht es um die Vergänglichkeit des Materials und natürlich auch um die Rückeroberung einer Naturbegeisterung. Bei der Arbeit mit den Socken ist auch interessant, dass ich mitten im Prozess noch nicht wusste, wie sie sich entwickelt, wann sie zu Ende ist und auch was mit den Resultaten anzufangen ist und wie ich sie präsentieren kann.

 

Gibt es Menschen, die dich nicht interessieren?

Oh sicher, viele – aber dazu fällt mir gar nichts ein.

 

An welchem Kunstwerk kannst du dich nicht satt sehen?

Ich bin eine Schwärmerin und leidenschaftliche Kunstbetrachterin – mich frei bewegen und schauen, das ist ganz in meinem Sinne.

In der Schweiz, wo ich aufgewachsen bin, haben wir leider keine so üppigen Kunsttempel wie hier in Wien. Sicher, es gibt viele wunderbare Orte mit ausgesucht wunderbarer Kunst. Besonders gerne erinnere ich mich an Besuche im Römerholz, einem Privatmuseum bei Winterthur, dort hängen auch drei meiner Lieblingswerke: zwei Arbeiten von Gerard David – eine Kreuzigung und eine Beweinung – und eine Plastik von Maillol. Im Kunsthaus Zürich stehen die Olivensteine von Beuys und dann sind noch die immer mal wieder irgendwo auftauchenden weißen Metamorphosen Reliefs von Hans Arp.

In Wien gibt es das „Pelzchen“ von Rubens …

 

Ein Satz von Balthasar Gracian erscheint mir wie eine Maxime deiner Kunst: Man unternehme das Leichte als wäre es schwer und das Schwere, als wäre es leicht. Einverstanden?

Oh ja, das gefällt mir sehr gut. Unlängst ist mir ein Artikel über den amerikanischen Schriftsteller Richard Ford untergekommen, in dem ein Satz von ihm zitiert wird, der mir sehr gefallen hat: „Ich werfe Dinge in die Luft und dann gucke ich, wo sie landen.“

Dieses Zitat hat mich sofort an meine Arbeiten erinnert und mich in meinem Tun bestätigt.

 

Welchen Teil der Zeitung liest du zuerst?

Meist zuerst und gerne lese ich übers Wetter. Über das aktuelle Wetter, die Prognosen für die nächsten Tage oder wie die Temperatur in anderen Teilen der Welt ist.

Ich spreche auch gerne mit fremden Leuten übers Wetter, da kann ich auf entspannte Art vieles erfahren, ohne selber als Person eine Bedeutung zu haben.