S. Corinna Bille – Frenzi Rigling

Monica Budowski

Lucile
Du tust mir weh
Und alles ist kalt und alles ist nass
bevor die Sonne aufgeht
alle wimmern und flennen, wenn tüchtige Hände
die Strähnen ineinanderschlingen

Frenzi Rigling verwendet diese Sätze in ihrer Werkserie Lucile (2019). Sie entstammen der Erzählung Das ganze Leben vor mir im Buch Schwarze Erdbeeren von S. Corinna Bille (1912–1979).¹ Bille ist eine Schweizer Autorin, deren Bücher Frenzi Rigling seit Jahren begleiten.

S. Corinna Bille erschafft in ihren Erzählungen alltägliche Wirklichkeiten von Menschen, häufig Frauen. Sie fokussiert dabei auf ihre Emotionen und Beziehungen untereinander. Wichtig ist dabei stets, wie die Figuren in religiöse und traditionelle Bezüge eingebunden sind, wie sie diese wahrnehmen und damit umgehen. Scheinbar nur oberflächlich beobachtend und beschreibend, schwingen tiefe Spannungen zwischen dem Sein und Empfinden, dem Innen, und dem Sein und Sollen, dem Außen, leise tönend mit. Wie verstehen die Figuren ihre Wünsche und wie nehmen sie die Bedürfnisse ihrer Körper und ihrer Gefühle wahr? Wie passen sich die Figuren in die hierarchisch geordneten gesellschaftlichen und geschlechtlich geprägten Lebenswelten mit den entsprechenden Erwartungen ein? Inwiefern erleben sie dabei im individuell gelebten Alltag entsprechende Widerspenstigkeiten: Lust und Scham oder Unverständnis und Unvermögen, sich verständlich und wahrnehmbar zu machen?

In ihrem Alltag und in ihrem Leben steht S. Corinna Bille „dazwischen“ und „quer“; so bezeichnet sie sich in ihren Briefen als 14-Jährige an ihre Mutter als „Deine Fifon, die das ganze Kloster zum Teufel wünscht“ ² – im katholischen, konservativen Wallis. Sie wird künstlerisch lange Zeit nicht wahrgenommen und anerkannt. Während S. Corinna Bille drei Kinder innerhalb von sechs Jahren zur Welt bringt, leidet sie ungemein darunter, dass sie kaum zum Arbeiten kommt. Dennoch sieht sie immer wieder, wo sie weitermachen kann, hat Freude am Familienalltag und an ihrer Arbeit.

S. Corinna Bille hat die künstlerische Sprache von Frenzi Rigling maßgeblich inspiriert. Frenzi Rigling interessiert sich für das Dazwischen und das Dahinter, das Verschlüsselte und das Verborgene des Alltags und für alles, was wertlos erscheint.

In einem eigens kreierten Alphabet, das aus Zwischenräumen der Buchstaben besteht, erzählt Frenzi Rigling eine Geschichte des Alltags mit den oben zitierten Sätzen (Lucile, 2019). Im Bild Bara (2020), eine Figur aus S. Corinna Billes erstem Buch Théoda, benützt Frenzi das Übriggebliebene der ausgeschnittenen Buchstaben und malt sie mit schwarzem Lack auf weiße Leinwand. In mehreren Bildern der Serie Corinna (2016) werden die Reste von Buchstaben der Sätze aus verschiedenfarbigen Folien auf weiße Stoffe geklebt.

Frenzi Rigling arbeitet mit der Vielschichtigkeit alltäglicher und gesellschaftlicher Gegebenheiten, Sachverhalte, Erlebnisse und Beobachtungen. Sie verwendet sehr unterschiedliche Materialien und bringt sie präzise, sanft und leise zum Klingen. Frenzi Rigling teilt mit – nicht direkt, sondern dazwischen oder dahinter, durchschimmernd, verschlüsselt oder versteckt. Vieles ist unscheinbar, erscheint nebensächlich und wird übersehen oder ist auf den ersten Blick nicht zugänglich. Ihr Werk braucht Zeit; es wirkt nach und klingt dabei jeweils unterschiedlich – der Rede wert: „Über Das“.


¹ S. Corinna Bille, Schwarze Erdbeeren. Erzählungen. Mit einem Nachwort von Monique Schwitter, München 2012. 

² Charles Linsmayer, „Selbst der Tod hatte noch Zärtlichkeit für sie: Corinna Bille“, in: www.linsmayer.ch/autoren/B/BilleCorinna.html (zuletzt aufgerufen am 23. März 2023).